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Genug gewartet:
Hausärztin fordert Reformen

Die Alarmsignale und Hilferufe aus den steirischen Spitälern, Ordinationen und Pflegeeinrichtungen häufen sich. Die Landesregierung aber unternimmt nichts, die Krise verschärft sich immer weiter. Nicht nur wir NEOS sagen: Genug gewartet! Deshalb bieten wir in diesem Blogbeitrag einer engagierten Hausärztin aus Graz-Umgebung eine Plattform. Sie schildert die steirische Gesundheitskrise aus ihrer Sicht.

Woran das österreichische Gesundheitssystem krankt...

Theoretisch betrachtet hat Österreich eines der besten Gesundheitssysteme, die man sich als Bürger:in wünschen kann: Jede und jeder zahlt in ein solidarisches System ein und sollte dann auch - unabhängig von Geschlecht, Nationalität, Einkommen oder Beziehungen - die gleichen Leistungen erhalten. Die Realität sieht leider anders aus: Termine bei Kassenfachärzt:innen sind oft nur nach monatelanger Wartezeit zu bekommen. Absurderweise nehmen sogar Wahlärzt:innen häufig keine neuen Patient:innen mehr auf. Dabei gibt es statistisch gesehen in Österreich sehr viele Ärzt:innen, die allerdings aufgrund von falschen Anreizen nicht optimal eingesetzt werden. In vielen Krankenhäusern – selbst zentralen universitären Einrichtungen - kann eine Versorgung für alle auf höchstem Niveau nicht mehr sichergestellt werden. Operationen müssen häufig abgesagt werden - manchmal sogar, wenn der Patient schon auf dem OP-Tisch liegt. Patient:innen werden nur notfallmäßig versorgt und oft mit offenen, schweren medizinischen Problemen nach Hause geschickt. Der Hausarzt/die Hausärztin wird sich um den Rest schon kümmern …   

Patient:innen, die noch einen Hausarzt oder eine Hausärztin haben, können sich dabei glücklich schätzen. Auch hier stehen immer mehr Ordinationen leer, da der Beruf zunehmend unattraktiver und die Arbeitsbelastung überbordend wird.  

Wie konnte es so weit kommen?

Jahrzehntelang ist man in der Steiermark davon ausgegangen, dass medizinisches Personal immer zur Verfügung stehe. Man hat die EU-Vorgaben zu geregelten und zumutbaren Arbeitszeiten einfach ignoriert und das Personal bis zur Erschöpfung arbeiten lassen. Wertschätzung gab es wenig, dafür zu viel Hierarchie, Zettelwirtschaft und interne Machtkämpfe. Die Pensionswelle, die wir gerade im Gesundheitssystem erleben, kommt nicht überraschend. Das war absehbar und die Landesregierung hätte schon lange darauf reagieren müssen. Es wurde einfach ignoriert, nun ist das Personal knapp.  

Und dann kam COVID...

Drei Jahre lang haben Pfleger:innen, Ärzt:innen und Gesundheitsdienstanbieter:innen während der Pandemie in Spitälern, Pflegeheimen und Ordinationen bis weit über ihre Belastungsgrenze hinaus gearbeitet. Sie haben die ihnen anvertrauten Patient:innen leiden und sterben sehen, haben geimpft, gearbeitet und gehofft. Ganz am Beginn ist applaudiert worden. Die gleichen Hände, die anfangs Applaus gespendet haben, haben sich aber alsbald in vielen Fällen zu Fäusten geballt und diejenigen, die sich um das Wohl ihrer Patient:innen bemüht haben, wurden bedroht und angegriffen. Der "Fall Lisa-Maria Kellermayr" ist eine tragische Konsequenz der Ignoranz dieser Anfeindungen.  

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die den Empfehlungen zum Maskentragen und Impfen zugrunde lagen, wurden durch fragwürdige Personen in Medien infrage gestellt. Eine Atmosphäre der Wut, Ablehnung und Empathielosigkeit wurde bewusst geschürt. Das Richtige zu tun und dafür angefeindet zu werden, hat zusätzlich an den Nerven derjenigen gezehrt, die sich weiter für die Belange ihrer Patient:innen eingesetzt haben. Viele haben diese massive Belastung nicht ausgehalten und das System verlassen, um ihre physische wie psychische Gesundheit zu retten.  

Jene, die noch im solidarischen Gesundheitssystem ausharren, sind permanent überlastet. Immer mehr Arbeit ist auf immer weniger Schultern verteilt. Man mag sich nicht ausmalen, wie es weitergehen wird, wenn der nächste Winter ähnlich wird wie der letzte …  

Lösungen der Verantwortlichen sind nicht in Sicht. Personen, die Probleme ansprechen, werden klein gehalten. Die kritische Situation wird immer noch heruntergespielt.  

Die in den vergangenen Jahren beschlossenen Reformen wie etwa die “legendäre” Zusammenlegung der Krankenkassen haben den Patient:innen nicht – wie von der Politik versprochen - eine Milliarde gespart, sondern über 500 Millionen gekostet!

Spürbar ist von der Zusammenlegung bislang gar nichts, denn niedergelassene Ärzt:innen in der Steiermark mit Kassenvertrag haben noch immer viel schlechtere Verträge als ihre Kolleg:innen in allen anderen Bundesländern. Die steirischen Patient:innen bekommen dementsprechend auch weniger Leistungen als jene in anderen Bundesländern. Ein einheitlicher Leistungskatalog ist immer noch nicht umgesetzt, die Attraktivität der Kassenmedizin wird dadurch immer weiter geschwächt.   

Zudem werden Kosten, die im Gesundheitssystem entstehen, nicht als Gesamtkosten betrachtet, sondern nur aus der Perspektive des jeweiligen Zahlers:  

Es ist doch absurd, dass Leistungen, durch die in der Primärversorgung Patient:innen fallabschließend behandelt werden können (z.b. bestimmte Labordiagnostik, Sonographie etc.) und dadurch vermieden werden könnte, dass diese die nächste (weitaus teurere und vom Personalmangel heftig gebeutelte) Versorgungsebene der Krankenhäuser aufsuchen, nicht oder nur stark limitiert angeboten werden. Auch wenn die wissenschaftliche Evidenz eindeutig dafürspricht, solche Leistungen auch zum Wohlergehen der Patient:innen anzubieten (etwa um Antibiotikatherapien zielgerecht einzusetzen und Resistenzen zu vermeiden). Absurd ist auch, dass die wichtigste primärpräventive Leistung des Impfens in vielen Fällen noch privat zu zahlen ist. Noch absurder, dass das Beratungsgespräch zur Impfberatung nur privat verrechnet werden kann.   

Engere Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen im Gesundheitssystem wird zwar gefordert und gewünscht. Tatsächlich ist aber z.B. in Graz Umgebung aber KEIN EINZIGER Sozialarbeiter verfügbar.  

"Wenn das die Lösung ist, hätte ich gern mein Problem zurück"

Absurd ist zudem, dass reflexhaft in den Bundesländern nach mehr Studienplätzen für Medizin gerufen wird, obwohl sich jährlich mehr als 10-mal so viele Studierende bewerben, wie es Studienplätze gibt. Und dass nach Absolvierung des Studiums 30 bis 40 Prozent der fertigen Ärzt:innen nie in Österreich tätig werden. Und Österreich im OECD Schnitt überdurchschnittlich viele Ärzt:innen pro Einwohner hat.  

Anstatt endlich die Arbeitsplätze und -bedingungen zu attraktiveren, die solidarische Gesundheitsversorgung aufzuwerten und Wertschätzung zu zeigen, werden fragwürdige Infrastrukturmaßnahmen beworben, die keine echte Lösung des Problems darstellen.  

Absurd und zynisch ist es, jahrzehntelang die Pflegeberufe so unattraktiv zu gestalten, dass keiner mehr in  ihnen arbeiten will, und wir jetzt aus der ganzen Welt qualifizierte Personen einfliegen müssen, die dann wiederum in ihren eigenen Ländern fehlen.  

Erschreckend ist, dass in einem Krankenhaus in der Steiermark (Bruck a.d. Mur) fast alle Ärzt:innen eines Fachs auf einmal das Krankenhaus verlassen, sodass die Versorgung darniederliegt. Es ist völlig verantwortungslos und realitätsfern, so zu tun, als werde man dieses Problem ganz schnell und einfach lösen.  

Was wir brauchen, ist eine ehrliche Diskussion über den Zustand des Gesundheitssystems. Eine Diskussion, die sich nicht an den Chancen der nächsten Wahl und persönlichen politischen Karrieren orientiert, sondern am Wohlergehen der eigenen Wähler:innen. Wir brauchen eine Offensive zur Erhöhung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und eine Stärkung der Wissenschaft und ihrer Erkenntnisse, gerade in Anbetracht der Wissenschaftsferne eines beachtlichen Teils der österreichischen Bevölkerung. 

Was wir brauchen, ist eine Gesamtkostenbetrachtung des Gesundheitssystems und eine Versorgung der Patient:innen dort, wo es sinnvoll ist. Und damit eine massive Aufwertung und Stärkung der Primärversorgung, die dann als Gatekeeper fungieren kann, Patient:innenströme lenkt und teure Spitalsbehandlungen zu vermeiden hilft.  

Was wir brauchen, ist eine Solidarität in der Gesellschaft, die von den politischen Stakeholdern vorgelebt wird, eine Kultur der sachlichen Disskussion und der faktenbasierten Argumentation.  

Eine Kultur des Miteinanders und Füreinanders. 

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EINE ENGAGIERTE 
HAUSÄRZTIN

Die Hausärztin, die diese Zeilen verfasst hat, hat uns um Anonymität gebeten. Dieser Bitte kommen wir natürlich gerne nach - auch wenn du deinen Ärger oder deine Ideen mit uns teilen möchtest.

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